Beweglich und stark: Die Kraft des Yoga bei der Kultivierung von Resilienz

In den letzten Jahren ist der Begriff der Resilienz schrittweise aus den Forschungslaboren und wissenschaftlichen Arbeiten der Psychologie in eine breitere Öffentlichkeit getreten: Resilienz meint in diesem Kontext die Fähigkeit des Menschen, sich angesichts von Widrigkeiten, Stress oder traumatischen Erfahrungen zu erholen, anzupassen und zu gedeihen. Sie bezeichnet die Fähigkeit, uns positiv zu entwickeln trotz belastender Umstände und beschreibt damit eine zentrale Fähigkeit bei der Bewältigung der Herausforderungen des Lebens. Doch was haben christliches Yoga und Resilienz miteinander zu tun? In diesem Artikel wollen wir einen kurzen Blick auf Ergebnisse der Resilienzforschung werfen, Schnittstellen zum Yoga betrachten und uns (in sechs Punkten) anschauen, wie die Lehren und Techniken des Yoga unsere Fähigkeit, Resilienz zu entwickeln, positiv beeinflussen können.

Beweglich und stark: Die Kraft des Yoga bei der Kultivierung von Resilienz

1. Schutzfaktoren – die eigene Handlungsfähigkeit erleben

Ein zentrales Ergebnis der Resilienzforschung der letzten Jahrzehnte ist die Bedeutung sogenannter Schutzfaktoren. Die Forschung zeigt, dass die Resilienz des Einzelnen nicht nur und vor allem durch angeborene Eigenschaften bestimmt, sondern entscheidend durch weitere Faktoren geprägt wird.  Zu den identifizierten Schutzfaktoren gehört prominent auch das Gefühl der persönlichen Handlungsfähigkeit. Das Erlebnis, dass wir in unserem eigenen Leben gestaltend aktiv sein können und einen gewissen Grad an Kontrolle über unsere Umstände haben. Und die Yogamatte ist ein hervorragender Ort, an dem wir diese Erfahrung machen und regelmäßig praktizieren können: Durch verschiedene Körperhaltungen (Asanas) und Techniken zur Atemkontrolle (Pranayama) lernen wir, uns mit dem eigenen Körper zu verbinden, unseren Geist zu beruhigen und im Moment präsent zu bleiben. Jede einzelne Übung kann so zur Erfahrung werden, Einfluss auf unseren inneren Zustand haben. Diese Kultivierung von Stabilität, verbunden mit dem Erlebnis selbst Einfluss darauf genommen zu haben, kann so zu einem entscheidenden und praktischen Baustein der eigenen Resilienz werden.

2. Unvollkommenheiten annehmen und Anpassungsfähigkeit praktizieren

Christliches Yoga ermutigt uns, Unvollkommenheiten anzunehmen und zu erkennen, dass jede Übung eine individuelle Reise mit eigener Entwicklung ist. In gleicher Weise betont auch die Forschung, dass Resilienz von Mensch zu Mensch unterschiedlich ausgeprägt und ihre Entwicklung ein individueller Weg ist, auf dem auch Rückschläge und Hindernisse als natürliche Aspekte des Lebens auftauchen. Durch das Praktizieren von Yoga lernen wir, mit Schwierigkeiten auf der Matte umzugehen, und bauen dabei nach und nach auch mentale und emotionale Flexibilität auf. Diese hilft uns dabei, uns auch an die unvermeidlichen Höhen und Tiefen des Lebens außerhalb unserer Yoga-Praxis anzupassen.

Pia Wick Yoga in der Kirche.

3. Annahme des Moments als Schlüssel zu mentaler Flexibilität

Die Forschung zeigt auch, dass gute Bewältigungsstrategien eine große Rolle bei der Entwicklung der eigenen Resilienz spielen. Dazu gehört auch die Fähigkeit, trotz herausfordernder Umstände im eigenen Leben anwesend zu bleiben und die Dinge so anzuschauen, wie sie sich darstellen. Hier lehrt uns Yoga, durch einen Fokus auf unsere Präsenz im aktuellen Moment, nicht nur die positiven Aspekte, sondern auch die dunklen Seiten des Lebens anzunehmen und zu integrieren. Dieses Akzeptieren von Veränderungen und das Loslassen von Erwartungen stehen im Einklang mit dem Konzept der Resilienz. Resiliente Menschen verstehen, dass Rückschläge vorübergehender Natur sind und dass der Wachstumsprozess oft das Aufgeben vorgefasster Meinungen und die Anpassung an neue Umstände beinhaltet. So trainieren wir mit Yoga nicht nur körperliche, sondern auch mentale Flexibilität.

4. Achtsamkeit und emotionale Regulation

Yoga fördert Achtsamkeit, einen Zustand gesteigerten Bewusstseins und der Akzeptanz des gegenwärtigen Augenblicks. Dies ist auch ein zentraler Aspekt zahlreicher Programme und Interventionen, die zwischenzeitlich entwickelt wurden, um die Resilienz von Einzelpersonen und Gemeinschaften zu stärken. Durch die Kultivierung der Achtsamkeit entwickeln wir Fähigkeiten zur emotionalen Regulation, die es uns ermöglicht, schwierige und komplexe Emotionen und innere Zustände mit Selbstmitgefühl zu halten. Die Fähigkeit, Emotionen anzuerkennen und zu verarbeiten, ohne von ihnen überfordert zu werden, trägt so wesentlich zum Aufbau von Widerstandskraft und zur Entwicklung einer ausgewogenen Perspektive bei. In schwierigen sowie in guten Zeiten – denn auch positive Emotionen kosten uns Energie und möchten reguliert und verarbeitet werden.

Portrait von Pia Wick.

5. Durchatmen durch Herausforderungen

Der Atem ist ein kraftvolles Werkzeug im Yoga. Bei Yoga-Sitzungen lernen wir, gleichmäßig zu atmen, auch wenn es körperlich einmal etwas belastender und herausfordernder wird. So wird die bewusste Atmung auch außerhalb der Yoga-Praxis in den Herausforderungen des Lebens zu einem Zufluchtsort, der es uns Stress und Ängste abbauen und gleichzeitig Konzentration und Klarheit bewahren lässt. Wir lernen, auch in Situationen von erhöhter innerer Unruhe Orte von Stille finden zu können. In schwierigen Situationen den Atem zu bewahren und bewusst zu gestalten führt so zu einer erhöhten Widerstandsfähigkeit gegenüber innerem und äußerem Druck.

6. Aufbau einer Gemeinschaft und Unterstützung

Bei der Yoga-Praxis üben wir häufig gemeinsam, sei es vor Ort in einer Gruppe oder auch gemeinsam im Rahmen von Online-Angeboten. Dieses Umfeld kann in uns Gefühle von Zugehörigkeit und Verbundenheit fördern, die von der Forschung als wesentliche Bestandteile von Resilienz identifiziert worden sind. So kann die gemeinsame Yoga-Praxis als Mikrokosmos von Unterstützungsprozessen fungieren und verstanden werden, welche die eigene Widerstandskraft stärkt und auch außerhalb dieses begrenzten Rahmens ihre Kraft entfaltet. Wir richten uns gemeinsam als Gruppe aus und diese Erfahrungen nehmen wir auch am Ende einer Stunde mit in unsere Begegnungen und unseren Alltag.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Praxis von Yoga und die Entwicklung von Resilienz in ihren zugrundeliegenden Mechanismen eng miteinander verknüpft sind. Mit Yoga legen wir Grundsteine für den Aufbau von Widerstandskraft – einer dynamischen inneren Stärke, die uns in den Prüfungen und Nöten des Lebens stützen kann. Beim christlichen Yoga lernen wir darüber hinaus, dass es bei unserer Reise zwar auch um die Verbesserung unserer körperlichen und emotionalen Handwerkszeug geht, jedoch nicht darum, uns selbst vervollständigen zu müssen. Wir praktizieren in Achtsamkeit, Atmung, Meditation und mit jeder Körperübung immer auch das Bewusstsein, dass wir als Geschöpfe Gottes auf seine transformative Kraft angewiesen sind und bleiben. So geht christliches Yoga weit über die Grenzen der Matte hinaus, stärkt unserer Resilienz und befähigt uns, gemeinsam mit Gott und unseren Nächsten durch die Höhen und Tiefen des Lebens zu navigieren.